Eherecht schiitischer Afghanen

Die folgenden Bestimmungen finden auf alle schiitisch-muslimischen Afghanen Anwendung, Angehörige aller anderen Religionsgemeinschaften unterliegen grundsätzlich dem Zivilgesetzbuch v. 1977.

 


Schiitisches Personalstatutsgesetz v. 2009 (afgh.-schiit. PSG)1


Abschnitt 2: Die Familie
Kapitel 3: Eheverbote (Art. 81–93)


Eheverbote aufgrund von Schwägerschaft

Art. 81
Die Eheschließung mit folgenden Verwandten (unabhängig von Bluts- oder Milchverwandtschaft), mit denen eine Schwägerschaft besteht, ist dauerhaft verboten:

  • 1 – mit der Mutter und Großmutter der Ehefrau ab dem Zeitpunkt der Eheschließung.
  • 2 – mit den Töchtern der Ehefrau, sofern die die Ehe [mit deren Mutter] vollzogen wurde.
  • 3 – mit der Ehefrau des eigenen Vaters und Großvaters ab dem Zeitpunkt der Eheschließung.
  • 4 – mit der Ehefrau der Söhne ab dem Zeitpunkt der Eheschließung.


Eheverbote aufgrund von Milchverwandtschaft

Art. 82
Die Milchverwandtschaft führt unter den Voraussetzungen dieses Gesetzes entsprechend der Blutsverwandtschaft zu einem dauerhaften Eheverbot, außer [Anm. d. Übers.: bei der Ehe eines Mannes] mit den folgenden Personen:

  • 1 – der Schwester eines Milchsohnes.
  • 2 – der Mutter einer Milchschwester oder eines Milchbruders.
  • 3 – der Großmutter eines Milchsohnes oder einer Milchtochter und allen Verwandten in aufsteigender Linie.
  • 4 – der Schwester eines Milchbruders.


Begründung einer Milchverwandtschaft

Art. 83
(1) Die Voraussetzungen für die Begründung einer Milchverwandtschaft sind:

  • 1 – eine stillende Frau.
  • 2 – ein gestilltes Kind.
  • 3 – das Stillen.

(2) Die stillende Frau muss während des Stillens am Leben und die alleinige Stillmutter des Kindes sein. Stillen zwei Frauen gemeinschaftlich fünfzehnmal, führt dies nicht zum Eheverbot der Milchverwandtschaft.
(3) Das gestillte Kind muss während des Gestilltwerdens am Leben und jünger als zwei Mondjahre sein.
(4) Die gesaugte Milch muss die folgenden Voraussetzungen erfüllen:

  • 1 – Sie wird für die Dauer von einem Tag und einer Nacht oder fünfzehn vollständige und aufeinanderfolgende Male oder in einer Menge, die zu Knochenfestigung und Muskelwachstum führt, getrunken.
  • 2 – Die gesaugte Milch stammt von einer einzigen männlichen Quelle [Anm. d. Übers.: gemeint ist der Mann, durch den die stillende Frau über Milch verfügt]; werden zwei Kinder von zwei stillenden Frauen mit derselben Quelle [demselben Mann] gestillt, begründet dies eine Milchverwandtschaft.
  • 3 – Die gesaugte Milch ist die Folge einer rechtmäßigen Schwangerschaft in einer wirksamen Ehe oder einer Schwangerschaft aufgrund irrtümlicher Annahme, dass eine Ehe besteht, oder einer Zeugung durch rechtmäßige künstliche Befruchtung.
  • 4 – Die Milch wird direkt von der Brust gesaugt.
  • 5 – Die gesaugte Milch ist die Folge einer Geburt.

(5) Besteht Kenntnis über das Stillen, nicht aber über die Häufigkeit und Menge des Stillens, entsteht kein Eheverbot.
(6) Der Vater des gestillten Kindes kann weder mit den Kindern der männlichen Quelle noch mit den Kindern der stillenden Mutter die Ehe schließen.


Beweis der Milchverwandtschaft

Art. 84
In den folgenden Fällen gilt die Milchverwandtschaft als bestehend:

  • 1 – bei Anerkenntnis des Stillens.
  • 2 – bei Zeugnis von zwei Männern mit einwandfreiem Leumund oder vier Frauen mit einwandfreiem Leumund oder von einem Mann und zwei Frauen mit einwandfreiem Leumund.
  • 3 – bei Zeugnis von Personen ohne einwandfreien Leumund, sofern ihr Zeugnis [in diesem besonderen Fall] als vertrauensvoll erscheint.


Die Eheschließung mit zwei Schwestern

Art. 85
(1) Die Eheschließung mit zwei Schwestern, unabhängig davon, ob sie bluts- oder milchverwandt sind, ist nichtig. Ist die eine Ehe vor der anderen geschlossen worden oder befindet sich eine Schwester in der Wartezeit nach einer widerruflichen Verstoßungsscheidung2, ist die zweite Ehe nichtig.
(2) Die Ehe mit den Nichten der Ehefrau ist – solange diese lebt – ohne ihre Erlaubnis unwirksam.


Fälle des Verbots polygyner Eheschließungen

Art. 86
(1) Ein Mann darf in den folgenden Fällen nicht mit mehr als einer Frau eine Dauerehe schließen:

  • 1 – bei Nichteinhaltung des Gleichbehandlungsgebots bezüglich ihrer zwingenden Rechte.
  • 2 – bei Unvermögen des Ehemannes, den notwendigen ehelichen Unterhalt zu leisten.
  • 3 – wenn die erste Frau im Zuge ihrer Eheschließung [mit dem Mann] vereinbart, dass der Ehemann keine andere Frau heiratet.

(2) Auf Antrag der Ehefrau ist die finanzielle Leistungsfähigkeit des Ehemannes zu ermitteln.
(3) Die Eheschließung mit einer fünften Frau ist, solange [auch nur] eine der bisherigen Ehefrauen sich in der Wartezeit nach einer widerruflichen Verstoßungsscheidung befindet, nichtig.


Eine verheiratete Frau oder eine Frau in der Wartezeit

Art. 87
(1) Eine Ehe, die in Kenntnis der Umstände und ihrer Rechtsfolgen mit einer verheirateten Frau oder einer Frau, die sich in der Wartezeit befindet, geschlossen wird, ist nichtig und führt zu einem dauerhaften Eheverbot zwischen den Parteien, außer im Falle der Beiwohnung in der irrtümlichen Annahme des Bestehens einer Ehe.
(2) Eine Ehe, die in Unkenntnis der Umstände oder ihrer Rechtsfolgen mit einer verheirateten Frau oder einer Frau, die sich in der Wartezeit befindet, geschlossenen wird, ist nichtig und führt bei Vollzug der Ehe zu einem dauerhaften Eheverbot zwischen den Parteien.


Das Eheverbot während der Pilgerfahrt

Art. 88
(1) Eine Ehe, die in Kenntnis der Rechtsfolgen und der Umstände im Weihezustand des Pilgers während der Pilgerfahrt (ehrâm) eines oder beider Ehegatten geschlossen wird, ist nichtig und führt zu einem dauerhaften Eheverbot zwischen den Parteien.
(2) Eine Ehe, die in Unkenntnis der Rechtsfolgen oder der Umstände im Zustand des ehrâm eines oder beider Ehegatten geschlossen wird, ist nichtig und führt bei Vollzug der Ehe zu einem dauerhaften Eheverbot zwischen den Parteien.
(3) Wird bewiesen, dass der ehrâm nichtig war, ist die Eheschließung wirksam.


Verwünschungseid (le´ân)3 und falsche Bezichtigung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs (qazf)4

Art. 89
Die Eheauflösung aufgrund eines Verwünschungseids nach den Bestimmungen dieses Gesetzes führt zu einem dauerhaften Eheverbot zwischen den Ehegatten.


Außerehelicher Geschlechtsverkehr und Geschlechtsverkehr in der irrtümlichen Annahme des Bestehens einer Ehe

Art. 90
(1) Außerehelicher Geschlechtsverkehr: Geschlechtsverkehr einer geschlechtsreifen, einsichtsfähigen Person, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist, der vorsätzlich, in Kenntnis des Verbots [des außerehelichen Geschlechtsverkehrs] und des Nichtbestehens einer ehelichen Beziehung oder bei vorsätzlich herbeigeführter Unzurechnungsfähigkeit (wie etwa Trunkenheit), vollzogen wurde.
(2) Geschlechtsverkehr bei irrtümlicher Annahme des Bestehens einer Ehe: Geschlechtsverkehr einer geschlechtsreifen Person im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte mit einer anderen Person als der Ehefrau, der in Unkenntnis des Verbots [des außerehelichen Geschlechtsverkehrs] oder in Unkenntnis des Nichtbestehens einer ehelichen Beziehung bei Einsichtsfähigkeit vollzogen wurde.
(3) Der außereheliche Geschlechtsverkehr mit einer verheirateten Frau und einer Frau, die sich in der Wartezeit nach einer widerruflichen Verstoßungsscheidung befindet, führt zu einem dauerhaften Eheverbot zwischen den Ehebrechenden; aber die Beiwohnung in der irrtümlichen Annahme des Bestehens einer Ehe, der Geschlechtsverkehr mit einer Frau in der Wartezeit nach einer unwiderruflichen Verstoßungsscheidung sowie in der Wartezeit nach dem Tod [des Ehemannes] und nach einer Eheannullierung führen zu keinem dauerhaften Eheverbot.
(4) Die Eheschließung des Vaters des außerehelich verkehrenden Mannes mit der Frau, mit der dieser außerehelich verkehrt hat, und die Eheschließung des außerehelich verkehrenden Mannes mit Aszendenten und Deszendenten der Frau, mit der er außerehelich verkehrt hat, und jenen der Frau, mit der er irrtümlich außerehelich verkehrt hat, ist verboten. Ist die außerehelich verkehrende Frau die Tante väterlicher- oder mütterlicherseits, ist dem Mann, mit dem sie außerehelich verkehrt hat, die Eheschließung mit ihren Töchtern nicht gestattet.
(5) Die bestehende Ehe der ehebrechenden Personen wird durch den außerehelichen Geschlechtsverkehr nicht aufgelöst.


Drei und neun Verstoßungsscheidungen

Art. 91
(1) Ist eine Frau dreimal durch Verstoßungsscheidung geschieden worden und ist die Ehe zweimal durch Widerruf wiederaufgenommen worden, können diese Ehegatten nicht wieder heiraten, außer die Ehefrau schließt [danach] mit einem anderen Mann die Ehe und deren Ehe wird nach Vollzug durch Verstoßungsscheidung, Eheannullierung oder Tod aufgelöst.
(2) Nach neun Verstoßungsscheidungen entsteht ein dauerhaftes Eheverbot zwischen den Ehegatten, vorausgesetzt sechs der Verstoßungsscheidungen waren widerruflich.


Unglaube [Eheschließungen mit Andersgläubigen]

Art. 92
(1) Die Eheschließung eines muslimischen Mannes mit einer Frau, die nicht Angehörige einer Buchreligion ist, und die Eheschließung einer muslimischen Frau mit einem Nichtmuslim sind nichtig, wobei kein Unterschied zwischen Unglaube und Abfall vom Glauben gemacht wird. Konvertieren ein nichtmuslimischer Mann und eine nichtmuslimische Frau gleichzeitig zum Islam, bleibt ihre Ehe wirksam.
(2) Konvertiert der Mann einer Frau, die Angehörige einer Buchreligion ist, zum Islam, bleibt die Ehe wirksam, unabhängig davon, ob dies vor oder nach Vollzug der Ehe geschah.
(3) Konvertiert eine Angehörige einer Buchreligion vor Vollzug der Ehe [mit einem Nichtmuslim] zum Islam, wird die Ehe annulliert; in diesem Falle hat sie keinen Anspruch auf die Brautgabe.
(4) Konvertiert eine Angehörige einer Buchreligion nach Vollzug der Ehe [mit einem Nichtmuslim] zum Islam, ist die Ehe nur dann wirksam, sofern der Ehemann vor Beendigung der Wartezeit ebenfalls zum Islam konvertiert, andernfalls wird die Frau mit der Konvertierung zum Islam von ihrem Mann getrennt.
(5) Konvertiert ein Mann oder eine Frau, die keiner Buchreligion angehören, vor Vollzug der Ehe [mit einem/r Nichtmuslim*in] zum Islam, gilt die Ehe sofort als annulliert; findet die Konvertierung nach Vollzug der Ehe statt, gilt die Ehe nach Beendigung der Wartezeit als annulliert, und, falls der andere ebenfalls innerhalb der Wartezeit zum Islam konvertiert, bleibt ihre Ehe wirksam.


Gleichgeschlechtliche Handlungen

Art. 93
Gleichgeschlechtliche Handlungen vor der Eheschließung führen zu einem Eheverbot für die ausführende Person mit den folgenden Personen, unabhängig davon, ob es sich um den aktiven oder den passiven Part handelt oder sie geisteskrank, minderjährig, volljährig oder sonstiges ist:

  • 1 – der Mutter des (passiven) Homosexuellen und ihren Verwandten in aufsteigender Linie, unabhängig davon, ob bluts- oder milchverwandt.
  • 2 – der Tochter des (passiven) Homosexuellen und ihren Deszendenten, unabhängig davon, ob bluts- oder milchverwandt.
  • 3 – der Schwester des (passiven) Homosexuellen, unabhängig davon, ob bluts- oder milchverwandt.



 



1 Gesetz über das Personalstatut der schiitischen Gemeinschaft [qânûn-e ahvâl-e shakhsiye-ye ahl-e tashayyo´], Gesetzblatt Nr. 988 v. 27.7.2009.
2 Gemeint ist, wenn der Mann mit einer Schwester verheiratet ist und diese (widerruflich) verstößt, ist eine Ehe mit der anderen Schwester nichtig, solange die Wartezeit der ersten Schwester noch andauert.
3 Le´ân bezeichnet einen Eid, mit dem der Ehemann seine Ehefrau des außerehelichen Geschlechtsverkehrs beschuldigen kann, ohne dies beweisen zu können, und damit die Vaterschaft des in die Ehe geborenen Kindes bestreitet, ohne sich dabei der Verleumdung (qazf) schuldig zu machen.
4 Qazf bezeichnet eine Verleumdung in Bezug auf Ehebruch und besteht in der (strafbaren) Behauptung, dass eine Person außerehelich geschlechtlich verkehrt habe, ohne dies beweisen zu können.

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