Deutsche Rechtsprechung zum syrischen Familienrecht
Weist ein Sachverhalt Beziehungen zu mehreren Rechtsordnungen auf, so bestimmt das deutsche internationale Privatrecht (IPR), das Recht welchen Staates zur Anwendung kommt. Im internationalen Familienrecht kommt heute primär das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes der Parteien zur Anwendung. Es kann aber auch ausländisches Familienrecht berufen sein, wenn etwa zu beurteilen ist, ob eine Ehe, die im Ausland geschlossen wurde, wirksam ist. Desgleichen richtet sich etwa die Ehefähigkeit von Personen nach dem Recht ihrer Staatsangehörigkeit. Waren sie zum Zeitpunkt der Eheschließung Ausländer, kommt das Recht ihrer Staatsangehörigkeit (Heimatrecht) zur Anwendung.
Im Folgenden sind einige deutsche Urteile mit Bezug zum syrischen Recht aufgelistet.
Wirksamkeit der Ehe
OLG Nürnberg, Beschluss vom 7. Februar 2023
Az.: 11 W 2076/22, FamRZ 2023, 1459-1461
Stichworte: Vertretung bei Eheschließung; Formfrage oder Eheschließungsvoraussetzung; Geflüchtete
Tenor: Eine nach syrischem Recht von bevollmächtigten Vertretern wirksam geschlossene Ehe ist für Geflüchtete in Deutschland dann nicht wirksam, wenn der Mangel sich auf eine materielle und damit auf den Erklärungswillen bezogene Eheschließungsvoraussetzung erstreckt. Im vorliegenden Fall ist nicht der konkrete Ehepartner bei der durch Vertreter geschlossenen Ehe benannt, sondern lediglich eine Generalvollmacht ohne Nennung eines konkreten Ehepartners erteilt worden. Dies ist nach syrischem Recht unproblematisch, aber nach deutschem Recht nicht möglich. Insofern ist von einem Mangel bei den Eheschließungsvoraussetzungen auszugehen und nicht von einem reinen Formmangel. Daraus ergibt sich eine Unwirksamkeit der im Ausland geschlossenen Ehe nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB.
AG Fürth (Odenwald), Beschluss vom 19. Juni 2019
Az.: 4 F 425/18 S, FamRZ 2019, 1855-1857
Stichworte: Anerkennung ausländischer Minderjährigenehe
Tenor: Unterliegt die Ehemündigkeit ausländischem Recht, ist nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB n.F. die Eheschließung vor dem 16. Lebensjahr unwirksam. Vorliegend ist die Ehe auch bereits nach syrischem Recht unwirksam, da auch nach syrischem Recht keine Ehemündigkeit vor dem 13. Lebensjahr besteht. Auch ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Ehe liegt nicht vor, da notwendige syrische Eheschließungsunterlagen durch Falschangaben erschlichen worden sind.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6. November 2018
Az.: 3 A 247/17.A, FamRZ 2019, 865-866
Stichworte: Anerkennung einer in Syrien geschlossenen Ehe
Tenor: Die Wirksamkeit einer ausländischen Eheschließung richtet sich grundsätzlich nach dem Heimatrecht der Ehegatten (hier: syrisches Recht). Die Mitwirkung des syrischen Staates ist für die Wirksamkeit einer Eheschließung nicht erforderlich und der Anspruch auf Familienasyl kann auch von polygamen Ehen abgeleitet werden, soweit sie im Herkunftsstaat anerkannt sind.
Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 28. September 2018
Az.: 3 K 349.16 V, FamRZ 2019, 279-283
Stichworte: Familiennachzug bei Minderjährigenehe
Tenor: Der Familiennachzug nach § 30 I AufenthG dient dem Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 I GG. Obwohl die Ehe nach dem ausländischen Recht (hier: Syrien) wirksam geschlossen ist, ist sie nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB n.F. unwirksam, da die Ehefrau zum Zeitpunkt der Eheschließung 15 Jahre alt war. Ein Familiennachzug ist daher ausgeschlossen. Ob mit dem Erreichen der Volljährigkeit in den Schutzbereich des Art. 6 I GG „hineingewachsen“ werden kann, bleibt offen. Der Familiennachzug wäre wohl bei Volljährigkeit dennoch nicht gänzlich ausgeschlossen, da die Möglichkeit einer wiederholenden Eheschließung in Deutschland per se besteht.
AG Dieburg, Beschluss vom 23. März 2017
Az.: 52 F 233/13 S, IPRspr. 2017, Nr. 131, 240-241
Stichworte: Aufhebung einer bigamen Ehe; „Grundsatz des ärgeren Rechts“
Tenor: Hat auch nur einer der Ehegatten die deutsche Staatsangehörigkeit, richtet sich die Eheaufhebung (hier: wegen Bigamie) nach deutschem Recht. Es greift insoweit der „Grundsatz des ärgeren Rechts“. Dafür reicht es aus, dass die Ehe zumindest nach deutschem Recht aufgehoben werden kann und es kann dahingestellt bleiben, ob die Ehe nach syrischem Recht ebenso aufgehoben werden könnte.
KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2016
Az.: 1 VA 7/15, FamRZ 2016, 1585-1586
Stichworte: Anerkennung eines ausländischen Urteils; Zweitehe
Tenor: Das deutsche Recht und insbesondere § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG steht der Anerkennung eines ausländischen Urteils (hier: Syrien) nicht entgegen, auch wenn daraus ein kurzer Zeitraum der Bigamie resultiert, da in diesem Fall der internationale ordre public anzuwenden ist, der großzügiger ist, als der deutsche ordre public. Durch die Scheidung ist der Zustand der Doppelehe beseitigt und die Zweitehe, nach Abwägung aller Umstände und unter Berücksichtigung der möglichen außergewöhnlichen Härte, auch nach deutschem Recht wirksam.
Ehewirkungen
BGH, Urteil vom 14. Oktober 1998
Az.: XII ZR 66/97, NJW 1999, 574-575
Stichworte: Brautgabe; Unterhaltsrecht
Tenor: Ob eine Morgengabevereinbarung des syrischen Rechts, die nach deutschem Recht zu behandeln ist, ein Schuldversprechen i. S. des § 780 BGB ist, ist im Einzelfall und nach dem Wortlaut der Vereinbarung zu beurteilen. Führen bestimmte inhaltliche oder auch tatsächliche Gegebenheiten zu einer Abänderung der Voraussetzungen zur Zahlung der Morgengabe, ist dies zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist die Leistung einer Morgengabe nicht per se nach deutschem Recht ausgeschlossen, auch wenn ihr islamisches Recht zugrunde liegt.
Scheidung
AG Syke, Beschluss vom 26. September 2017
Az.: 22 F 97/14, IPRspr. 2017, Nr. 134, 243
Stichworte: Ehescheidung; Wirksamkeit der Ehe trotz Minderjährigenehe
Tenor: Im Regelfall kann unter Minderjährigen keine nach deutschem Recht wirksame Ehe geschlossen werden, selbst wenn dies im Ausland rechtlich möglich ist. Ein Verstoß gegen den ordre public läge jedoch nur vor (und eine rechtliche Prüfung desselben wäre nötig), wenn bei der Würdigung des Einzelfalls das ausländische Recht mit den Grundrechten unvereinbar wäre. Bei der Entscheidung über Art. 6 EGBGB und Art. 18 syrisches PSG kommt es bei der Würdigung der Umstände des Einzelfalls aber auch darauf an, dass die Eheschließung des 15-jährigen Jungen eine über 40 Jahre währende Ehe und mehrere Kinder zur Folge hatte.
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006
Az.: XII ZR 79/04, FamRZ 2007, 109-113
Stichworte: Syrisches Scheidungsrecht; Anwendbarkeit kanonischen Rechts; Verstoß gegen ordre public
Tenor: Die nach syrisch-christlichem Recht Unscheidbarkeit der Ehe verstößt gegen den deutschen ordre public. Zwar gilt in Syrien der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) und damit kirchliches Recht, allerdings widerspricht eine Unscheidbarkeit der Ehe geltendem deutschen Recht.
Anerkennung einer in Syrien durchgeführten Scheidung
BGH, Beschluss vom 26. August 2020
Az.: XII ZB 158/18, FamRZ 2020, 1811-1817
Stichworte: Syrische Privatscheidung; einseitige Verstoßung; Doppelstaater; Rechtssache „Sahyouni“
Tenor: Ist die Feststellung des anwendbaren Rechts nicht über die Anknüpfung des Aufenthaltsprinzips möglich, ist das Heimatrecht der Ehegatten bei Einleitung des Scheidungsverfahrens einschlägig. Bei deutsch-syrischen Doppelstaatern findet gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB deutsches Recht Anwendung und die einseitige syrische Verstoßungsscheidung ist unwirksam.
OLG München, Beschluss vom 14. März 2018
Az.: 34 Wx 146/14, FamRZ 2018, 817-821
Stichworte: Anerkennung/Anwendung der Rom III-VO auf eine syrische Privatscheidung; Rechtssache „Sahyouni“
Tenor: Bei einer Privatscheidung nach syrischem Recht vor einem geistlichen Gericht kommt es für die Anerkennung der Scheidung in Deutschland zu keiner analogen Heranziehung der Rom III-Verordnung. Diese umfasst nur solche Ehescheidungen, die von staatlichen Gerichten oder öffentlichen Behörden vorgenommen wurden. Daher folgt das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstaut des Art. 14 EGBGB.
OLG Braunschweig, Beschluss vom 19. Oktober 2000
Az.: 2 W 148/00, FamRZ 2001, 561-562
Stichworte: Anerkennung syrischer Privatscheidung; deutsche Staatsbürgerschaft; gewöhnlicher Aufenthalt
Tenor: Eine Privatscheidung vor einem Scharia-Gericht in Syrien findet nach deutschem Recht keine Anerkennung, wenn beide Ehegatten neben der syrischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben und auch ihr gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland ist. Auch wenn das Scharia-Gericht in Syrien der staatlichen Gerichtsbarkeit angehören sollte, ist die Scheidung als eine durch Talaq-Erklärung bewirkte Privatscheidung zu qualifizieren.
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 7. April 1998
Az.: 1Z BR 16/98, NJW-RR 1998, 1538-1540
Stichworte: Anerkennung ausländischer Scheidung; Anwendung des Art. 7 FamRÄndG auf Privatscheidungen
Tenor: Ein vor einem religiösen Gericht in Syrien beurkundeter Ehevertrag, welcher Vereinbarungen über den gemeinsamen Wohnort, die Brautgabe und das anzuwendende Recht trifft, erfüllt das Formerfordernis für eine Rechtswahl. Eine syrische Scheidung kann anerkannt werden, wenn sie einvernehmlich vorgenommen wird, beide Ehegatten auch syrische Staatsangehörige sind und eine Scheidung grundsätzlich ebenfalls nach deutschem Recht möglich gewesen wäre.
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 13. Januar 1994
Az.: 3Z BR 66/93, NJW-RR 1994, 771-772
Stichworte: Anerkennung einer Privatscheidung; Anwendung des Art. 7 FamRÄndG auf Privatscheidungen
Tenor: Die Eheschließung zweier syrischer Staatsangehöriger in Syrien allein stellt keine Rechtswahl zugunsten syrischen Rechts für die Ehewirkungen dar. Eine nicht einvernehmliche Privatscheidung kann nach deutschem Recht nicht anerkannt werden.
Adoption
VG Berlin, Beschluss vom 15. Juni 2020
Az.: VG 36 K 173.19 V, BeckRS 2020, 40515
Stichworte: Nachzug eines nicht leiblichen, ausländischen Kindes; Adoption; katholisches Familienrecht in Syrien
Tenor: Für den Nachzug eines nicht leiblichen Kindes aus Syrien ist eine wirksame Adoption nötig. Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten eine vorgelegte als „Spezialvollmacht“ titulierte Vollmacht nach syrischem Recht einer Adoption gleichsteht. Das syrische Recht ist interreligiös gespalten und Syrer katholischen Glaubens sind von den Regelungen des syrischen Personalstatutsgesetzes ausgenommen. Nach dem Personalstatut für katholische Syrer besteht keine Möglichkeit einer Adoption.
Sorgerecht
AG Wuppertal, Beschluss vom 18. April 2016
Az.: 64 F 154/15, IPRspr. 2016, Nr. 185, 412-417
Stichworte: Flüchtlingseigenschaft; Vormundschaft; Sorgerecht für eine minderjährige verheiratete Ehefrau; Wirksamkeit der Ehe
Tenor: Das auf das Sorgerecht für einen minderjährigen Flüchtling anwendbare Recht ist nach Art. 15 Abs. 1 KSÜ zu ermitteln, der Art. 21 EGBGB vorgeht. Ob die Geschäftsfähigkeit eines minderjährigen Flüchtlings durch eine Eheschließung erweitert wird, beurteilt sich nicht nach dem Recht der Staatsangehörigkeit, sondern dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts. Die Eheschließung eines Minderjährigen führt nach deutschem Recht nicht zur Mündigkeit, sondern die elterliche Sorge für den minderjährigen Ehegatten setzt sich trotz der Eheschließung bis zur Volljährigkeit fort. Ob abweichende ausländische Vorschriften über die Ehemündigkeit anzuwenden sind oder ob dies in einem erheblichen Widerspruch zu Grundgedanken des deutschen Rechts steht, ist in jedem Einzelfall abzuwägen.
Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12. September 2006
Az.: 2 BvR 2216/05, BVerfGK 9, 155-160
Stichworte: Sorgerecht; Kindeswohl; Haager Minderjährigenschutzabkommen
Tenor: Das syrische Recht der Personensorge benennt nur den Vater als Rechtsträger und nicht die Mutter oder andere Personen. Dies ist mit dem deutschen Recht im Wesentlichen unvereinbar, da es den Gesichtspunkten des Kindeswohls widerspricht. So kann es auch im Hinblick auf das Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 5. Oktober 1961 nicht zur Anerkennung syrischen Rechts kommen.
AG Einbeck, Urteil vom 8. November 1990
Az.: 1 F 12/88, BeckRS 1990, 4728
Stichworte: Sorgerecht; Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts
Tenor: Das syrische PSG enthält ausreichend ausführliche Sorgerechtsbestimmungen, die dem Kindeswohl im nötigen Umfang Rechnung tragen. Daraus folgt, dass die Tatsache einer Ungleichbehandlung durch das Umfeld der Kinder aufgrund ihres Geschlechts wahrscheinlich ist, dies aber nicht für die Annahme ausreicht, dass das Kindeswohl beeinträchtigt ist. Die Sorgerechtsregelungen des syrischen PSG verstoßen also nicht gegen den deutschen ordre public.
Namensrecht
OLG Hamm, Beschluss vom 7. April 1995
Az.: 15 W 3/95, FamRZ 1995, 1602
Stichworte: Syrisches und internationales Namensrecht
Tenor: Um einen Familiennamen nach deutschem Recht zu bestimmen, ist bei einem aus Syrien stammenden Kind kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens zu prüfen, welcher der Namensbestandteile, die der islamischen Tradition folgen, hierfür am ehesten in Frage kommt. Nur dem Eigennamen des Vaters kommt die vergleichbare Funktion eines deutschen Familiennamens zu, da nur dieser an die Kindeskinder weitergegeben wird. Daher ist dieser Eigenname als Familienname des Kindes zu bestimmen.