Eherecht schiitischer Afghanen

Die folgenden Bestimmungen finden auf alle schiitisch-muslimischen Afghanen Anwendung, Angehörige aller anderen Religionsgemeinschaften unterliegen grundsätzlich dem Zivilgesetzbuch v. 1977.

 


Schiitisches Personalstatutsgesetz v. 2009 (afgh.-schiit. PSG)1


Abschnitt 2: Die Familie
Kapitel 4: Wirksamkeitsvoraussetzungen der Eheschließung (Art. 94–103)


Eheschließungsalter

Art. 94
Das Eheschließungsalter für Mädchen beträgt 16 und für Jungen 18 volle Sonnenjahre. Der Beweis, dass die Geschlechtsreife, die Geschäftsfähigkeit und ein Interesse an der Ehe vor Erreichen der genannten Altersgrenzen bestehen, kann vor Gericht durch den gesetzlichen Vormund erbracht werden.


Wirksamkeit der Ehe einer Jungfrau

Art. 95
(1) Die Wirksamkeit der Ehe einer Jungfrau hängt von ihrem Einverständnis und der Genehmigung ihres gesetzlichen Vormunds ab.
(2) Weist die Jungfrau vor Gericht das Vorliegen eines der folgenden Fälle nach, kann die Erlaubnis des gesetzlichen Vormunds entfallen:

  • 1 – wenn es unmöglich ist, die Erlaubnis des gesetzlichen Vormunds einzuholen, oder dies mit erheblichem Aufwand verbunden ist und das Mädchen der Ehe bedürftig ist.
  • 2 – wenn der gesetzliche Vormund geistesschwach ist.
  • 3 – wenn der gesetzliche Vormund ein Nichtmuslim ist.
  • 4 – wenn der gesetzliche Vormund die Eheschließung mit einem ihr gemäß Scharia und Brauch ebenbürtigen Anwärter, trotz ihres Bedürfnisses nach einem Ehemann und ihrer Zuneigung zu ihm, verhindert und kein anderer entsprechender Anwärter vorhanden ist.

(3) Die Stammeszugehörigkeit, die Nationalität und die Ethnie sind kein Maßstab für die Ebenbürtigkeit; der Muslim ist dem Muslim ebenbürtig.


Die Eheschließung eines psychisch Kranken (majnûn)

Art. 96
Der gesetzliche Vormund hat keine Ehevormundschaft für einen periodisch psychisch Kranken und dessen Eheschließung ist während seiner Zurechnungsfähigkeit wirksam. Ein dauerhaft psychisch Kranker kann nicht, nachdem er zurechnungsfähig geworden ist, eine von seinem gesetzlichen Vormund für ihn geschlossene Ehe ohne triftigen Grund ablehnen, ebenso kann er die vom ernannten Vormund für ihn geschlossene Ehe nicht ablehnen, auch wenn sie seinem Wohl entspricht. Existieren weder gesetzlicher noch ernannter Vormund und besteht ein dringendes und starkes Bedürfnis des psychisch Kranken und der psychisch Kranken, kann das Gericht bezüglich ihrer Eheschließung tätig werden.


Die Eheschließung eines Geistesschwachen

Art. 97
Die selbständige Eheschließung eines Geistesschwachen ist wirksam, aber ihre vermögensrechtlichen Folgen obliegen dem gesetzlichen Vormund. Widersetzt sich der gesetzliche Vormund seinen Pflichten oder verzögert er sie, verpflichtet ihn das Gericht, diese zu erfüllen.


Absicht (qasd) und Konsens der Parteien

Art. 98
(1) Die Absicht und der Konsens der Parteien sind zwingende Voraussetzungen der Wirksamkeit der Eheschließung und sie müssen ausdrücklich durch Worte, Taten oder in Schriftform zum Ausdruck kommen.
(2) Erfolgt die Eheschließung ohne Konsens beider oder einer der Parteien, wird sie durch nachträgliche Zustimmung wirksam.
(3) Die Ehe kommt durch den mündlichen Antrag einer Partei und die mündliche Annahme durch die anderen Partei, die ausdrücklich ihre Eheschließungsabsicht zum Ausdruck bringen, zustande.


Eheschließungsformel

Art. 99
Bei der Eheschließung erfolgen Antrag und Annahme wie folgt:

  • 1 – mit der Absicht, eine eheliche Gemeinschaft zu begründen.
  • 2 – Antrag und Annahme können einander vorangehen.
  • 3 – Bei Antrag und Annahme sind die Bräuche und Sitten einzuhalten.
  • 4 – Soweit möglich, soll die Eheschließungsformel auf Arabisch ausgesprochen werden.
  • 5 – Sofern der Antrag und die Annahme auf Arabisch ausgesprochen werden, ist die Vergangenheitsform zu verwenden.
  • 6 – Der korrekte Ausdruck für den Antrag enthält die [arab.] Wortwurzel „nakaha“ oder „zawaja“ [von arab.: heiraten]; die korrekte Formel für die Annahme lautet „qabiltu“ [arab.: ich habe angenommen] oder „radaitu“ [arab.: ich bin einverstanden].


Vertretung bei der Eheschließung

Art. 100
(1) Jede der ehewilligen Parteien kann die andere Partei oder einen Dritten zum Stellvertreter zur Durchführung der Eheschließung mit einer bestimmten oder unbestimmten Person bestimmen.
(2) Der Stellvertreter muss geschlechtsreif, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte (´âqel), zur Willensbildung fähig, zurechnungsfähig und Muslim sein.
(3) Ist die Vertretungsmacht des Vertreters zur Durchführung der Eheschließung uneingeschränkt oder besteht der Anschein, als beinhalte die Vollmacht einen Verzicht auf eine Eheschließung mit anderen Personen als dem Vertreter [selbst] oder das Verbot, die Ehe mit einer anderen als der Person des Vertreters zu schließen, kann der Vertreter nicht die Ehe mit der/m Vertretenen schließen (selbiges gilt auch, wenn der Vertreter eine Frau ist).
(4) Überschreitet der Vertreter seine Vertretungsmacht bezüglich der Bedingungen, die der Vertretene über die Person, die Brautgabe oder sonstige Eigenschaften bestimmt hat, oder wahrt er nicht die Interessen des Vertretenen, ist die Eheschließung unwirksam.
(5) Der Vertreter kann ohne Bevollmächtigung zur Untervollmacht oder ohne Erlaubnis des Vollmachtgebers einen Dritten als Stellvertreter bestimmen.
(6) Ist eine Ehe geschlossen worden, bei der eine Partei ohne Vertretungsmacht handelte, während die andere Partei selbst handelte, bleibt die Person, die selbst gehandelt hat, solange der Ehe verpflichtet, solange die Person, für die ohne Vertretungsmacht gehandelt wurde [die vermeintlich vertretene Person], die Ehe ablehnt [wörtl.: ausschlägt] oder bewilligt.
(7) Verursacht ein Verzug hinsichtlich der Bewilligung oder Ablehnung seitens der Partei, für die ohne Vertretungsmacht gehandelt worden ist, einen Schaden bei der selbsthandelnden Partei, hat diese das Recht zur Annullierung der Ehe.


Geschlechterunterschiedlichkeit

Art. 101
(1) Die Geschlechterunterschiedlichkeit [der Ehegatten] zu Beginn und im Verlauf der Ehe ist eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Ehe.
(2) Ist ein Ehegatte ein Hermaphrodit, dem aus religiöser Sicht kein bestimmtes Geschlecht zugeordnet ist, oder ist sein Geschlecht nicht feststellbar, ist die Eheschließung mit ihm nichtig.


Bestimmung der Ehegatten

Art. 102
(1) Die Bestimmung der Ehegatten derart, dass bei keinem von ihnen ein Irrtum [hinsichtlich der Person] besteht, ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Ehe.
(2) Der Irrtum über die Person der Eheschließenden führt zur Nichtigkeit der Ehe.
(3) Schließt eine Person unter Eigenschaften und Bezeichnung einer anderen Person mit jemandem die Ehe, die im Vertrauen auf das Bestehen jener Eigenschaften und Bezeichnung die Ehe eingegangen ist, ist die Ehe zwischen ihnen nichtig.


Bedingungsfeindlichkeit der Ehe

Art. 103
Eine unter Bedingungen geschlossene Ehe ist nichtig, es sei denn, die Bedingungen beziehen sich auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Ehe oder auf ein bestimmtes Ereignis, deren Kenntnis unschädlich ist, wie etwa die Bedingung, dass die Eheschließung am Freitag stattfindet oder der Ehemann der Vetter der Ehefrau ist.
 



 



1 Gesetz über das Personalstatut der schiitischen Gemeinschaft [qânûn-e ahvâl-e shakhsiye-ye ahl-e tashayyo´], Gesetzblatt Nr. 988 v. 27.7.2009.

Zur Redakteursansicht