Deutsche Rechtsprechung zum afghanischen Familienrecht

Weist ein Sachverhalt Beziehungen zu mehreren Rechtsordnungen auf, so bestimmt das deutsche internationale Privatrecht (IPR), das Recht welchen Staates zur Anwendung kommt. Im internationalen Familienrecht kommt heute primär das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes der Parteien zur Anwendung. Es kann aber auch ausländisches Familienrecht berufen sein, wenn etwa zu beurteilen ist, ob eine Ehe, die im Ausland geschlossen wurde, wirksam ist. Desgleichen richtet sich etwa die Ehefähigkeit von Personen nach dem Recht ihrer Staatsangehörigkeit. Waren sie zum Zeitpunkt der Eheschließung Ausländer, kommt das Recht ihrer Staatsangehörigkeit (Heimatrecht) zur Anwendung.

Im Folgenden sind einige deutsche Urteile mit Bezug zum afghanischen Recht aufgelistet.

 

Wirksamkeit der Ehe


VG Hannover, Urteil vom 3. März 2020
Az.: 7 A 1787/20, NVwZ-RR 2020, 711
Stichworte: Minderjährigenehe
Tenor: Ist eine Minderjährigenehe bereits nach dem Recht des Herkunftsstaates (Heimatrecht) unwirksam, bedarf es nach deutschem Recht keines Rückgriffs auf den ordre public. Die Unwirksamkeit leitet sich direkt aus dem Recht des Herkunftsstaates ab.
 

OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. Dezember 2019
Az.: 8 W 363/19, StAZ 2020, 318-319
Stichworte: Gerichtliche Feststellung einer Zwangsehe; Voraussetzung für die Eintragung ins Standesamtsregister
Tenor: Gemäß dem nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB n.F. geltenden afghanischen Recht kann die Nichtigkeit einer „Zwangsehe“ nur dann geltend gemacht werden, wenn der fehlende Konsens der Eheschließenden durch rechtskräftige Entscheidung des zuständigen (hier: deutschen) Gerichts festgestellt wird. Die Beurteilung erfolgt unter Berücksichtigung der Voraussetzungen für eine Nichtigkeit nach afghanischem Recht. Dieses setzt z. B. den Nachweis der Nötigung voraus. Nur dann können im Anschluss die Abstammungsverhältnisse des Kindes geklärt und ein Registereintrag beim Standesamt vorgenommen werden.
 

AG Hamburg, Beschluss vom 15. Februar 2010
Az.: 60 III 58/08, nicht veröffentlicht
Stichworte: Rechtswirksamkeit der Eheschließung nach afghanischem Recht
Tenor: Die Eheleute hinduistischen Glaubens schlossen in Afghanistan die Ehe unter Beachtung der in ihrem Heimatland geltenden Vorschriften zur Ehemündigkeit, Freiwilligkeit der Erklärung, Beibringung von Zeugen und Mitteilung an die afghanischen Behörden. Somit ist die Ehe auch in Deutschland als rechtswirksam geschlossen anzusehen, weitere Formalien sind nach afghanischem Recht nicht nötig und eine Registrierung im Heimatland hat mithin nur deklaratorischen Charakter.
 

Ehewirkungen


AG Offenbach am Main, Beschluss vom 4. Februar 2013
Az.: 318 F 1688/11 GÜ, nicht veröffentlicht
Stichworte: Ehescheidung; Fälligkeit des gestundeten Teils der Brautgabe
Tenor: Die Eheleute vereinbarten bei der Eheschließung nach afghanischem Recht eine teilweise gestundete Brautgabe, deren gestundeter Teil nach afghanischem Gewohnheitsrecht erst nach der Scheidung fällig wird. Das afghanische Recht bleibt anwendbar, da einer der Ehegatten weiterhin die afghanische Staatsangehörigkeit besitzt. Von einer wirksamen Scheidung ist nach einer bloßen Trennung von drei Monaten hingegen nicht auszugehen, so dass der Anspruch auf Zahlung der Brautgabe derzeit nicht fällig ist. Die Fälligkeit kann dann aber nach einer erfolgreichen, hier nach deutschem Recht zu beurteilenden, Scheidung der Ehefrau eintreten.
 

OLG Bamberg, Urteil vom 24. März 2010
Az.: 7 UF 275/08, IPRspr. 2010, Nr. 89, 190-192
Stichworte: Höhe der Brautgabe
Tenor: Eine Kürzung der wirksam nach afghanischem Recht vereinbarten Brautgabe ist vorzunehmen, wenn ihre Höhe zum finanziellen Ruin des Ehemannes führen oder ihn längere Zeit durch unzumutbare finanzielle Lasten derart binden würde, dass ihm die Möglichkeit einer Scheidung und einer anschließenden Wiederverheiratung versagt bliebe. Eine solche Brautgabe verstößt gegen den deutschen ordre public.
 

AG Pinneberg, Urteil vom 8. Juni 2006
Az.: 45 F 186/02, nicht veröffentlicht
Stichworte: Ehescheidung; Wirksamkeit der Brautgabevereinbarung
Tenor: Eine Scheidung richtet sich nach afghanischem Recht, wenn mindestens einer der Ehegatten auch nach der Eheschließung die alleinige afghanische Staatsbürgerschaft behalten hat. Eine im Zuge der Eheschließung vereinbarte sofortige oder auch später fällige Brautgabe ist auf Verlangen der Ehefrau zu zahlen. Die Zahlungspflicht ist verschuldensunabhängig und auch unabhängig von der tatsächlichen Bedürftigkeit der Ehefrau. Der Formmangel bzgl. der Eheschließung nach deutschem Recht berührt die Wirksamkeit der Brautgabevereinbarung nicht.
 

Scheidung


AG Hamburg-Wandsbek, Beschluss vom 11. September 2012
Az.: 736 F 126/11, nicht veröffentlicht
Stichworte: Scheidung der Ehefrau wegen Nichtleistung der Unterhaltszahlungen; geschlechtsspezifische Voraussetzungen nach afghanischem Recht
Tenor: Nicht geleistete Unterhaltszahlungen und die nicht erfolgte (bedingungslose) Wiederaufnahme der Unterhaltszahlungen berechtigen die Ehefrau nach afghanischem Recht zur Scheidung gegen den Willen des Ehemannes mithilfe eines Gerichtsurteils.


(alle folgenden Urteile sind vor Inkrafttreten der Rom III-VO ergangen)
 

AG Bad Schwalbach, Beschluss vom 8. November 2010
Az.: 1 F 301/09, IPRspr. 2010, Nr. 99, 211-212
Stichworte: Anwendbares Scheidungsrecht
Tenor: Die Scheidung afghanischer Staatsangehöriger richtet sich nach ihrem Heimatrecht. Soweit das Zivilgesetzbuch Afghanistans nicht mehr anwendbar sein sollte, findet das ungeschriebene Recht der hanafitischen Rechtsschule Anwendung. Auch nach dieser Rechtsauffassung besteht ein Scheidungsrecht bei massiver Gewaltanwendung.
 

AG Wetzlar, Urteil vom 31. August 2006
Az.: 613 F 182/04 S, nicht veröffentlicht
Stichworte: Ehescheidung
Tenor: Anknüpfend an das letzte gemeinsame Heimatrecht der Eheleute unterliegt die Scheidung dem afghanischem Recht, auch wenn die Ehefrau mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft hat und die Ehe in Pakistan geschlossen wurde. Ebenfalls nach afghanischem Recht beurteilt sich die Zulässigkeit des Scheidungswunsches durch die Ehefrau, welcher in diesem Falle auch nach afghanischem Recht rechtmäßig ist. Eine Scheidung durch Gerichtsurteil kann somit erfolgen.
 

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. September 2002
Az.: 2 UF 64/01, Streit 2002, 175-176
Stichworte: Ehescheidung nach afghanischem Recht; Unterhaltspflicht
Tenor: Nach afghanischem Recht ist ein Scheidungsgrund für die Ehefrau gegeben, wenn der Ehemann keinen Unterhalt zahlt. Unerheblich für diesen Scheidungsgrund ist, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen der Ehemann nicht leistungsfähig ist.
 

KG Berlin, Urteil vom 27. Juni 2001
Az.: 3 UF 3906/00, FamRZ 2002, 166-168
Stichworte: Hilfsweise Anwendung deutschen Rechts; Vermutungen über ausländisches Recht unzulässig
Tenor: Lässt sich das für eine Scheidung anwendbare Recht (hier Afghanistan) nicht ermitteln, kann stattdessen „hilfsweise“ deutsches Recht angewendet werden. So ist bei einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Eheleute gemäß EGBGB Art. 17 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 das Recht des ausländischen Staates anwendbar. Lässt sich dieses aber gerade nicht i.S.d. § 293 ZPO sicher ermitteln, sind keine Vermutungen über seinen wahrscheinlichen Inhalt anzustellen.
 

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 21. März 2000
Az.: 2 UF 91/99, FamRZ 2001, 1007-1008
Stichworte: Ehescheidung; Versöhnungsversuch nach ausländischem Recht zwingend
Tenor: Ist nach afghanischem Recht vor einer Scheidung zunächst ein Versöhnungsversuch durchzuführen und hierfür ein Vermittler aus dem Verwandtenkreis zu bestellen, hat das deutsche Gericht die Pflicht, dies in seinem Verfahren zu berücksichtigen.
 

Adoption


BGH, Beschluss vom 25. August 2021
Az.: XII ZB 442/18, FamRZ 2021, 1897-1903
Stichworte: Voraussetzungen einer Volljährigenadoption; Meinungsstreit über anwendbares Recht
Tenor: Bei einer Volljährigenadoption (auch eines Geflüchteten) muss die Identität des Anzunehmenden grundsätzlich feststehen, eine besondere sittliche Rechtfertigung kann das Fehlen eines Nachweises nicht heilen. Dabei darf nicht von vornherein einer ausländischen Urkunde (hier: Tazkira) der Beweiswert abgesprochen werden. Es gibt darüber hinaus einen Meinungsstreit über die Frage, nach welchem Recht die Volljährigkeit zu beurteilen ist, wobei in diesem Falle eine Entscheidung dahinstehen kann, da auch im afghanischen Recht wohl von einer Volljährigkeit bei Vollendung des 18. Lebensjahres ausgegangen werden kann.
 

Namensrecht


OLG Nürnberg, Beschluss vom 15. März 2022
Az.: 11 W 188/22, FamRZ 2022, 1843-1845
Stichworte: Namensführung nach ausländischem Recht; Familienname
Tenor: Ist nach dem afghanischen Recht kein Familienname üblich oder vorgesehen (insbesondere da keine gesetzlichen Vorschriften hierzu bestehen) und ist der Name somit nach afghanischem Recht frei wählbar, ist eine Einordnung oder Anpassung des Eigennamens nach den Vorstellungen des deutschen Rechts durch das Standesamt unzulässig. Deutsches Recht steht hier nicht über ausländischem Recht und nach afghanischem Recht ist der Name des Kindes gewohnheitsrechtlich durch den Vater dauerhaft frei wählbar.
 

AG Frankfurt, Beschluss vom 24. Mai 2007
Az.: 48 URI III Bas 54/04, nicht veröffentlicht
Stichworte: Namensführung nach ausländischem Recht; Änderung des Familiennamens bei unehelichem Kind
Tenor: Nach afghanischem Recht ist es unehelichen Kindern nicht möglich, den Eigennamen des Vaters als Familiennamen zu führen. Auf die selbständige oder unselbständige Anknüpfung der Vorfrage der Abstammung kommt es in diesem Fall nicht an, es liegt außerdem eine wirksame Rechtswahl afghanischen Rechts vor. Nach dem afghanischen Recht ist eine Änderung des gewählten Geburtsnamens vorzunehmen, da der Eigenname eines nicht mit der Mutter verheirateten Vaters nicht als Familienname des Kindes verwendet werden darf.

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