Abstammungs- und Sorgerecht schiitischer Afghanen
Die folgenden Bestimmungen finden auf alle schiitisch-muslimischen Afghanen Anwendung, Angehörige aller anderen Religionsgemeinschaften unterliegen grundsätzlich dem Zivilgesetzbuch v. 1977.
Schiitisches Personalstatutsgesetz v. 2009 (afgh.-schiit. PSG)1
Abschnitt 1: Rechtsfähigkeit und Personenrecht
Kapitel 5: Die Vermögenssorge (Art. 41–66)
Definition und Arten der Vormundschaft
Art. 41
(1) Die gesetzliche Vormundschaft bezeichnet die Autorität und die Gewalt über die Angelegenheiten Dritter, die gemäß diesem Gesetz in bestimmten Grenzen einer Person zugewiesen werden. Die Person, die die gesetzliche Vormundschaft innehat, wird valî, und die Person, die ihr untersteht, moulâ ´aleyhe [Anm. d. Übers.: im Weiteren „das Mündel“] genannt.
(2) Die Vormundschaft gliedert sich in zwei Teile:
- 1 – Die allgemeine Vormundschaft: bezeichnet die Vormundschaft des Gerichts über die Angelegenheiten von geschäftsunfähigen Personen.
- 2 – Die besondere Vormundschaft: bezeichnet die Vormundschaft von bestimmten Personen über die Angelegenheiten von bestimmten Personen und ist in zwei Teile gegliedert:
- – Die gesetzliche Vormundschaft: bezeichnet die Vormundschaft des Vaters und des Großvaters über das Mündel, die weder einer Bestimmung noch einer Durchsetzung durch das Gericht bedarf.
- – Die ernannte Vormundschaft: bezeichnet die Vormundschaft einer Person, die durch den Vater oder den Großvater väterlicherseits zur Verwaltung der Angelegenheiten des Mündels bestimmt wird.
Die Rechte und Pflichten des gesetzlichen Vormunds (valî)
Art. 55
(1) Der gesetzliche Vormund ist der gesetzliche Vertreter des Mündels in allen seinen vermögensrechtlichen Angelegenheiten und Rechten.
(2) Die vermögensrechtlichen Verfügungen des ernannten Vormunds, die dem Wohl des Kindes nicht entsprechen, sind nichtig. Die Verfügungen des gesetzlichen Vormunds sind wirksam, vorausgesetzt sie sind nicht nachteilig.
(3) Hat der gesetzliche Vormund das Eigentum des Kindes über die Zeit der Unmündigkeit des Kindes hinaus vermietet, hängt der Fortbestand der Vermietung nach Erreichen der Mündigkeit von der Genehmigung durch das Mündel ab.
Die Pflichten des gesetzlichen Vormunds
Art. 57
(1) Der gesetzliche Vormund ist verpflichtet, sich um sein Mündel und dessen Vermögen zu kümmern und das Kind davor zu bewahren, religiöse Verbote zu überschreiten.
(2) Unter Berücksichtigung der finanziellen Lage des Mündels kümmert sich der gesetzliche Vormund in folgenden Angelegenheiten um dessen Pflege und Aufsicht, vorausgesetzt, dass die tatsächliche Personensorge nicht einer anderen Person obliegt:
- 1 – Die Aufsicht über das Mündel und die Wahrung seiner Reinheit.
- 2 – Die Bewahrung des Mündels vor möglichen Gefahren für Leib und Leben.
- 3 – Die Aufsicht darüber, dass das Mündel andere nicht schädigt.
- 4 – Die medizinische Versorgung des Mündels.
- 5 – Die Bereitstellung von Mitteln zur Bildung und Erziehung des Mündels.
- 6 – Die Bereitstellung von Ausbildungsmöglichkeiten für eine sinnvolle Erwerbs- und Berufstätigkeit des Mündels.
(3) Erachtet ein Arzt die Eheschließung des Mündels für notwendig, kann der gesetzliche Vormund mit gerichtlicher Erlaubnis unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des Mündels die Grundlage für eine Eheschließung durch das Mündel schaffen.
1 Gesetz über das Personalstatut der schiitischen Gemeinschaft [qânûn-e ahvâl-e shakhsiye-ye ahl-e tashayyo´], Gesetzblatt Nr. 988 v. 27.7.2009.